„Meine Lebensgeschichte ist nichts für schwache Nerven! “ – Spiderman (2002) „Was man wohl zu meiner sagen würde???“

„BeaBu, du wirst es nicht glauben, aber seitdem ich mit meinem Dr. McDreamy verheiratet bin, erzählt er mir Geschichten von seiner Arbeit im Krankenhaus, da stehen einem die Haare zu Berge!“ Meine Freundin lebt seit Jahren im Ausland, hat dort einen Neurochirurgen geheiratet und ist auf Heimat-Urlaub. Also sitzen wir wie üblich an meinem Esstisch bei einer spannenden Partie Backgammon und tauschen uns über die Geschehnisse seit ihrem letzten Besuch aus. Ich ziehe meine Augenbraue hoch: ich soll etwas nicht glauben, was Ärzte so für einen Müll fabrizieren können? Zugegeben, bei ihren Geschichten rollen sich selbst  mir die Fußnägel ein, aber so weit hergeholt sind die Ereignisse für deutsche Ärzte auch wieder nicht. „Wem erzählst du das?!“ Ich fang an zu lachen und meine Freundin schaut mich skeptisch an. Der Prozess, der letztlich darin mündete, dass ich wieder laufen kann, wurde durch einen sehr renommierten Chefarzt Prof. Dr. Fabelhaft der sich selber überschätzt hatte, in Gang gesetzt. Der hat dann versucht, seine Schuld auf uns zu schieben, indem er doch tatsächlich uns beschuldigte, ihm gefälschte MRT-Bilder untergeschoben zu haben. Abgesehen davon, dass jedesmal, wenn mir jemand diesen Chefarzt Prof. Dr. Fabelhaft als DEN Experten für eine OP wieder empfiehlt, sich mir meine Nackenhaare sträuben und es mir kalt den Rücken runter läuft, werde ich ihm auf ewig für seine Inkompetenz danken. „Na, meine allererste Knie-OP verlief unter dem Motto: ,Operation misslungen, Patient neues Leben geschenkt!´ Oder besser gesagt, ich hatte Glück im Unglück! Dazu solltest du wissen, dass meine OP von vornherein nur eine 2% Erfolgschance hatte und die habe ich auch irgendwie getroffen, nur halt eben irgendwie!“ Die Skepsis meiner Freundin wandelt sich vor meinen Augen in pure Neugierde, und ich fahre fort: „Die Wahrscheinlichkeit, dass ich meine Beine ganz verliere, war so groß, dass, als ich nach der OP erwachte und diese noch dran waren, es für mich schon ein Erfolgserlebnis war. Dabei bin ich die OP nur angetreten, eben weil es eine 2% Erfolgschance gab. Alle anderen Ärzte wollten sich an mir gar nicht erst die Finger verbrennen und schlossen eine Operation kategorisch aus (Zitat: „Finden sie sich damit ab, für immer im Rollstuhl zu sitzen!“) Letztendlich war dies der Anstoß, nach jedem Strohhalm zu greifen, der sich uns bot. Somit war es für mich ganz klar, dass, als auch noch ein renommierter Chefarzt Prof. Dr. Fabelhaft mich plötzlich operieren wollte, ich alle Risiken in Kauf nehmen würde. Und ob ich nun im Rollstuhl mit oder ohne Beine saß, war mir im Endeffekt egal, aber ohne Operation würde sich definitiv nichts an meiner Lage ändern.“ Staunen, Bewunderung, Entsetzen, all das stand meiner Freundin ins Gesicht geschrieben. Nachdem sie einmal Schlucken musste, fragte sie: „WOW BeaBu, aber wie kam er dazu, euch Betrug bei den MRT-Bildern vorzuwerfen?“ Und ich erzählte ihr die ganze Geschichte von Anfang an.

Wie bereits erwähnt, befanden wir uns in einer ziemlich verzweifelten Lage, und uns war allen klar, dass irgendetwas geschehen musste. Ich saß nun seit mehr als zwei Jahren im Rollstuhl. Meine Knie waren so stark deformiert, dass sie sich weder Tag noch Nacht strecken ließen, und belasten konnte ich sie in diesem Zustand auch nicht. Als uns also bewusst wurde, dass mich niemand aus der Situation befreien würde, außer wir uns selber, fingen wir an zu überlegen, was genau die Problematik ist. Letztlich kamen wir zum Schluss, dass es schon ein enormer Fortschritt wäre, wenn man die Knie unter Narkose strecken würde. Ich glaube, damals war die Idee gewesen, sie wirklich nur zu strecken, ohne sie aufzuschneiden, jedenfalls wurde uns dann der besagte Chefarzt Prof. Dr. Fabelhaft empfohlen: „Ein Meister auf seinem Gebiet!“, „Wenn einer dann er!“, bla bla bla und so weiter und so fort. Jedenfalls wurde ich ihm vorgestellt und er erweiterte unsere Idee auf folgendes: Er öffnet in einer Operation meine Knie und repariert alles, was noch vorhanden ist, dann streckt er sie und schließt sie wieder. Vorausgesetzt, die MRT-Bilder bestätigen seine Vermutung. Fertig, mehr hat er zu den MRT-Bildern nicht gesagt, weder was seine Vermutung war, noch was er vorzufinden sich erhofft. Wir sollten einen Termin zum MRT machen und ihm die Bilder zukommen lassen, dann entscheidet er, ob und wann er die OP machen wird. Gesagt, getan! Wir bekamen einen Termin in einer MRT-Praxis und ließen die Bilder anschließend direkt zum Chefarzt Prof. Dr. Fabelhaft schicken. „Fabelhaft! Einfach Fabelhaft! Ihre MRT-Bilder zeigen einen intakten Knorpel, eine etwas angegriffene Gelenkkapsel und etwas zerfressene Schleimhäute, aber insgesamt bin ich mit dem, was ich sehe, sehr einverstanden! Ich werde die OP machen!“ Zugegebenermaßen waren wir über soviel Enthusiasmus schon etwas verwundert, aber schließlich war er ja der sehr renommierte Chefarzt.

Ich habe den Herrn das letzte Mal kurz vor meiner OP gesehen und seitdem nie wieder!

Nachdem ich in der ersten postoperativen Nacht grausamste Schmerzen und einen fürchterlichen Blutsturz hatte und mit gefühlt tonnenweise Blut- und Plasmatransfusionen voll gepumpt wurde, behielt man mich für zwei Wochen am durchgehenden Morphintropf auf der Intensivstation. Und nein, es war keine Schmerzpumpe zum selber regulieren, es war wirklich eine zweiwöchig durchgehende Dauerinfusion mit Morphium. Und das mit gerade mal vierzehn Jahren.

Als sie meine Schmerzen einigermaßen unter Kontrolle hatten und ich wieder auf Station verlegt wurde, kam der bei der Operation assistierende Oberarzt zu uns. Der arme Mann konnte uns kaum in die Augen schauen, als er uns eröffnete, dass sie alle sehr erleichtert sind, dass ich die Operation und ihre nachfolgenden Strapazen überlebt habe, aber der Chefarzt Prof. Dr. Nicht-Mehr-Ganz-So-Fabelhaft uns nicht nochmal vor die Augen treten wird. Er fühle sich aufs schändlichste belogen und betrogen, denn als er die Knie öffnete, war da gar kein Knorpel, keine Gelenkshaut und keine Kapsel mehr. Es war eigentlich nichts mehr von dem da, was er ursprünglich auf den MRT-Bildern angeblich gesehen hat, und er könne sich dies nur erklären, indem man ihm gefälschte Bilder präsentiert habe. Wie es allerdings zu dieser Täuschung gekommen sein konnte, wollte er jetzt nicht im OP ausdiskutieren.

Der arme Oberarzt, es war ihm sichtlich peinlich, dies wiederzugeben, und man sah ihm auch deutlich an, dass er alles andere als an gefälschte Bilder glaubte. Nach einem tiefen Seufzer fuhr er jedenfalls fort, dass die Streckung der Beine dann auf seinem Mist gewachsen war. Der Chefarzt war drauf und dran, die Knie einfach wieder zu schließen und dann habe er (der Oberarzt) vorgeschlagen, dass, nun da die Knie ja schon geöffnet vor ihnen liegen, man doch die letzten Fetzen des Gelenkes bereinigen und die Knie strecken könne. Zumindest würde sich mit gestreckten Beinen die Ausgangslage für ggf. weitere Eingriffe ändern. Er entschuldigte sich zutiefst, mich solchen Schmerzen und Strapazen ausgesetzt zu haben, und war sichtlich geknickt. Doch was auf seine Entschuldigung folgte, damit hat er überhaupt nicht gerechnet. Denn ich ergriff seine Hand und meine Mutter fiel ihm um den Hals. Eine überschwängliche Dankesbekundung ergoss sich über den Herrn Oberarzt Dr. Für-Uns-Fast-Fabelhaft. Er war die 2 %, auf die ich gehofft und für die wir alle gebetet hatten. Er hat instinktiv die einzige Entscheidung getroffen, die einen weiteren Prozess möglich gemacht hat. Und wir wussten es und er wusste es.

Im Laufe der kommenden Wochen wurde ich zur höchsten Priorität des Oberarztes. Leider konnte ich die gestreckten Knie weder mit noch ohne Schienen belasten. Ich konnte sie auch nicht mehr beugen, aber der gute Herr Oberarzt wurde nicht müde, immer neuere Sachen und Ideen vorzuschlagen, bis ich nach 6 Wochen auf gestreckten Beinen erstmal wieder nach Hause entlassen wurde…

 

Ich blicke vom Backgammon auf und sehe, dass mir meine Freundin wörtlich an den Lippen hängt.

„Jedenfalls, immer wenn mir wiedermal jemand total überschwänglich Chefarzt Prof. Dr. Fabelhaft empfiehlt, dann läuft es mir kalt den Rücken runter: Danke, aber nein danke! So verzweifelt werde ich hoffentlich nie wieder sein!“

Einmal war mehr als ausreichend!

 

À bientôt

Eure BeaBu

 

6 Gedanken zu „„Meine Lebensgeschichte ist nichts für schwache Nerven! “ – Spiderman (2002) „Was man wohl zu meiner sagen würde???“

  1. V. sagt:

    Deine Freundin ist ganz begeistert! Und freut sich jetzt schon auf den nächsten Post. Hoffentlich geht diese Woche gaaaanz schnelllll vorbei 😀

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.