„Dann hat die Mami den Papi geküsst. Dann haben die Engel das dem Storch erzählt. Und der Storch ist vom Himmel herabgeflogen und hat einen Diamanten unter ein Blatt im Kohlfeld gelegt. Und der Diamant verwandelte sich in ein Baby!“ – „Unsere Eltern werden auch ein Baby bekommen.“ – „Sie hatten Sex!“ – Addams Family 2 (1993) „So kann man eine Kettenreaktions-Geschichte auch verkürzen!“

„BeaBu, war die Frau vom MDK bei deiner Begutachtung damals blind oder wie kam sie dazu, dich als völlig gesund einzustufen?“ Nein, blind war die Dame vom Medizinischen Dienst der Krankenkasse nicht gewesen, als sie mir jegliche Pflegestufe verweigert hat. Doch an ihrer geistigen Gesundheit zweifle ich bis heute. „Wenn ich es mir recht überlege, dann müsste ich ihr im Nachhinein noch Blumen schicken, denn auch sie spielt als Mosaiksteinchen eine tragende Rolle in meinem persönlichen Wunder!“
So viele Mosaiksteinchen…

Mein Vater hatte im Laufe seiner Karriere viele verschiedene Auszubildende in seinem Betrieb, aber 1996 sollte einer von ihnen den Anstoß zur Wende in meiner Krankheitsgeschichte bringen. Na ja, nicht direkt der Azubi, sondern vielmehr die Freundschaft zu seinen Eltern, die eine Kettenreaktion lostrat.
Wie genau meine Eltern sich mit ihnen anfreundeten, entzieht sich meiner Kenntnis, allerdings weiß ich noch ganz genau, wie ich mit Ihnen bekannt wurde. Getrennt voneinander hinterließen Herr und Frau „Gutmütigkeit-in-Person“ einen sehr … sagen wir mal: bleibenden Eindruck!

Die Kunst, respektvoll respektlos zu sein

Wir (meine Eltern und ich) trafen Herrn „Gutmütigkeit-in-Person“ auf dem Parkplatz vor der Arbeitsstelle meiner Mutter.
Herr „Gutmütigkeit-in-Person“ wollte meinen Eltern den ein oder anderen rückenschonenden Hebegriff zeigen, um mich zum Beispiel aus dem Rollstuhl ins Auto und zurück zu transportieren, denn bis dahin hob mein Vater mich (zwar für mich relativ schmerzfrei, aber für ihn auf Dauer extrem rückenschädigend) wie einen Sack Mehl über die Schulter.

Jedenfalls zeigte der Herr den ersten Griff und es klappte auf Anhieb wunderbar. Meine Eltern stellten sich rechts und links neben mich, schoben ihre Ellenbogen unter meine nicht schmerzenden Schultern, hoben meinen knapp 40 Kilo leichten Körper problemlos in die Luft und setzten mich behutsam sowohl ins Auto als auch wieder zurück in den Rollstuhl.
Soweit so gut, aber jetzt musste aus mir bis heute unerfindlichen Gründen eine zweite Variante präsentiert werden.

Herr „Gutmütigkeit-in-Person“ beugte sich zu mir vor, schlang meine Arme um seinen Hals und bevor ich auch nur wusste, wie mir geschah, zog er mich schmerzvoll in die Länge und hob mich hoch. Sturzbäche donnerten augenblicklich aus meinen Augen. Halten konnte ich mich nicht und rutschte an seinem Körper langsam, aber qualvoll hinunter, was dazu führte, dass der gute Herr seinen schmerzvollen Griff um meine Körpermitte noch verstärkte und mich recht unsanft auf den Autositz bugsierte.
Relativ unbeeindruckt von meinem Schmerz und Geheule erklärte er meinen Eltern über meinen Kopf hinweg, was dieser Griff eigentlich für Vorteile hat und warum er grundsätzlich besser wäre als der andere.

In dem Moment, als Herr „Grundsätzlich-Gutmütigkeit-in-Person“ sich wieder mir widmete, um mich wieder aus dem Auto zu heben und in den Rollstuhl zu setzen, schickte ich ihn zum Teufel. (Und ihn zum Teufel zu schicken ist hier maßlos untertrieben! Ich schickte ihn in seiner Muttersprache zum Teufel, was einer Kriegserklärung gleichkommt und die schlimmste Beleidigung überhaupt bedeutet!)
Augenblicklich zeigte meine verbale Ohrfeige Wirkung: mit weit aufgerissenen Augen stand der gute Herr so unter Schock, dass er sofort von mir abließ! Meine sichtlich peinlich berührten Eltern versuchten gerade mein Verhalten zu erklären, da unterbrach der Herr „Wieder-Gutmütigkeit-in-Person“ sie und erklärte im ruhigen Ton, dass es noch nie jemand gewagt hat, ihn so zu beleidigen, aber ich hätte durch diese Reaktion auf seine missglückte Aktion absolut seinen Respekt gewonnen.

Die Kunst der berührten Nicht-Berührung

Am selben Abend war Familie „Gutmütig“ bei uns zum Essen eingeladen. Frau „Gutmütigkeit-in-Person“ setzte sich ganz behutsam neben mich. Sie strahlte soviel Liebe und Güte aus, dass man damit einen Heißluftballon hätte füllen können. Sie war mir sofort sympathisch. Und dann geschah etwas wunderbares: sie legte ihren Arm ganz bewusst ganz dicht neben meinen, ohne das sie sich berührten, und sagte: „BeaBu, du entscheidest selber, inwieweit dir die Berührung gut tut! Ich bleib hier ganz dicht bei dir sitzen und wenn du meinen Arm ergreifen möchtest, dann machst du das!“
Seitdem ich so stark erkrankt war, hatte noch niemand zuvor das so umgesetzt.

Nach und nach und ganz behutsam berührten unsere Arme sich, und als nächstes erhob sie sich und meine Mutter nahm ihren Platz ein. Und nach einer gefühlten Ewigkeit umarmte ich meine Mutter zum ersten Mal, ohne Schmerzen zu empfinden. Wir verbrachten einen tollen Abend miteinander und Familie „Gutmütig“ lud uns ein, mit ihnen die Herbstferien an der Côte d’Azur zu verbringen.

Das Verdrängen der Wahrheit ändert nichts an dem Zustand

Nachdem wir gefühlt 10000 Stunden mit dem Auto in den Urlaub gefahren waren, erreichten wir eine blühende Oase namens Saint-Tropez. 24 Grad Celsius, mediterranes mildes Klima, das blaue Meer und überall reife Kaki- und Zitronenbäume.
Nachdem wir zwei herrliche unbeschwerte Wochen zusammen mit Familie „Gutmütig“ verbracht hatten, setzten sie sich mit meinen Eltern zusammen und sprachen Tacheles.

Ich war ein Totalschaden, 24/7 pflegebedürftig, und wir sollten endlich unseren Stolz runterschlucken und uns Unterstützung besorgen. Sie öffneten uns die Augen und nahmen uns die Angst. Das Anerkennen meines Zustandes würde diesen weder verbessern noch verschlechtern, aber wenigstens könnte man sich dann das Leben über mögliche Pflegeleistungen, Hilfsmittel und Nachteilsausgleiche erleichtern.

Sobald wir wieder zu Hause waren, leiteten meine Eltern alles in die Wege und beantragten eine Pflegestufe.

Wie der Stein ins Rollen kam

Eine hässliche, dürre, schwarzhaarige Dame vom MDK begutachtete mich fast eine Stunde lang. Sie stellte viele Fragen und bat mich, mich mal so, mal so zu bewegen, was ziemlich schnell an meine Grenzen führte, da ich zu dem Zeitpunkt wirklich nichts machen und mich nicht viel bewegen konnte. Das einzige, was ich mir an Funktion immer geschafft habe zu erhalten, war mir selber den A$%& abzuwischen.

Ich konnte mir weder die Zähne putzen, weil meine Ellenbogen es nicht zuließen meine Hand soweit an meinen Mund heranzuheben, noch konnte ich ein Glas Wasser halten, da mir die Kraft in den Händen fehlte. Schlafen konnte ich nur unter einer besonders leichten Steppdecke, da ich von dem Gewicht einer „normalen“ Decke erschlagen wurde, und mich an- und auskleiden kam einer Schaufensterpuppe gleich, nur dass die nicht vor Schmerz schreien konnte, so wie ich es regelmäßig tat.

Jedenfalls kam einige Wochen später die Ablehnung der Pflegestufe, da mein Zustand einstudiert war und mit einigen Hilfsmitteln sich der Pflegeaufwand erledigt hätte.

Einmal diesen Weg eingeschlagen, stand fest, dass wir diesen Weg bis zum bitteren Ende gehen würden. Meine Eltern erkundigten sich bei einem Anwalt nach den weiteren Verfahrensschritten, um einen Widerspruch einzulegen. Dieser riet ihnen zu einem unabhängigen Gutachter, am besten ein Kinderrheumatologe.

Relativ schnell wurde immer wieder der selbe Name genannt und wir entschieden uns für „Dr. Dichschicktderhimmel“. Keine zwei Sekunden hatte er mich angeschaut, da kamen die alles entscheidenden Worte aus seinem Mund: „Kinderklinik: Garmisch-Partenkirchen, SOFORT!!! Und dieses schwachsinnige Gutachten der MDK widerlege ich!“
Und ein weiteres Mosaiksteinchen ward gesetzt!

À bientôt

Eure BeaBu

3 Gedanken zu „„Dann hat die Mami den Papi geküsst. Dann haben die Engel das dem Storch erzählt. Und der Storch ist vom Himmel herabgeflogen und hat einen Diamanten unter ein Blatt im Kohlfeld gelegt. Und der Diamant verwandelte sich in ein Baby!“ – „Unsere Eltern werden auch ein Baby bekommen.“ – „Sie hatten Sex!“ – Addams Family 2 (1993) „So kann man eine Kettenreaktions-Geschichte auch verkürzen!“

  1. Sookie Hell sagt:

    Liebe BeaBu,

    ich danke dir einfach nur für diesen Artikel. Mutig, gefühlvoll, ernst, traurig und witzig zugleich. Vielleicht kommt dir selbst das gar nicht so vor, aber in diesem kleinen Blogartikel steckt das ganze Leben. Hut ab vor deiner Schreibkunst und Lebenserfahrung!

    Liebe Grüße, Sookie

    • BeaBu sagt:

      Vielen vielen herzlichen Dank! Ich freue mich immer sehr, wenn meine Beiträge verstanden werden und meine Erlebnisse gewürdigt werden! Danke

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