„In schweren Zeiten erkennst du, wer deine wahren Freunde sind!“, philosophiert meine Cousine am Telefon. „Ja, das sagt man so schön! Allerdings habe ich genau das Gegenteil erlebt“, antworte ich. „Wie meinst du das, BeaBu? Die waren in schlechten Zeiten da und in den Guten weg?“ Jep, genau so!
Und nicht DIE (Plural), sondern SIE (Singular)…
Zweifel über Selbstzweifel
Ich sitze im Rollstuhl in der Küche und leiste meiner Mutter beim Kochen Gesellschaft. Nachdem wir schon alle möglichen Themen durch haben, kommt meine Mutter auf meinen wunden Punkt zurück und beginnt mit dem Thema meiner Abkapselung von der Welt und meinen nicht existenten Freundeskreis. Gerade als ich protestieren will: „Ich brauche niemanden! Die sind alle doof! Keiner kommt auf meinen Zustand klar! Ich ertrage diese mitleidigen Blicke nicht! Etc. pp“, da zieht sie meine beste Freundin aus dem Hut. Ich stutze und warte skeptisch, was jetzt kommen mag.
„Du solltest ihr eine Chance geben, mit der Situation klar zu kommen, BeaBu.“ Ach nee, ist klar! Warum sollte sie anders sein als alle anderen meiner angeblichen Ach-So-Tollen-Freunde?! Gerade will ich meine Mutter an meinem schnippischen Gedanken teilhaben lassen, da fährt sie fort: „Ruf sie an! Sie könnte dich überraschen!“ Meine Mutter sieht mein zweifelndes Gesicht an und setzt schulterzuckend noch drauf: „Was hast du zu verlieren?“
Die halbe Nacht lag ich wach und grübelte darüber nach, was ich zu verlieren hatte.
Einerseits bin ich eine Freakshow, mit der man sowieso nichts anfangen kann, außer sie sich einmal anzuschauen und schreiend davon zu laufen, so geschehen mit meinen anderen Ach-So-Tollen-Freunden.
Wenn ich sie jetzt nicht in diese Lage bringe, könnte ich sie irgendwann anrufen, wenn das mit dem Rheuma wieder vorbei ist. (Ja, ich weiß, wie dumm das war. Aber damals war DAS genau die Zeit, als ich noch die Hoffnung hatte, dass Rheuma genau wie Grippe eines Tages einfach wieder verschwindet! Ich meine: Es ist ja auch quasi über Nacht gekommen, dann kann es doch bitte auch so wieder gehen).
Andererseits war sie meine beste Freundin, seitdem ich 5 Jahre alt war. Wir wohnten im selben Innenhof und haben uns bis zu unserem Umzug vor knapp einem Jahr jeden Tag gesehen und etwas zusammen unternommen. Täglich! Und seitdem eben nicht mehr.
Ich vermisste sie zwangsläufig schrecklich.
Sollte ich es wirklich riskieren und sie anrufen?
Das Glück ist mit den Mutigen
„Damals, als du mich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder angerufen hast und mir erzählt hast, was passiert ist, dachte ich ernsthaft, du verar@&€ mich, BeaBu!“ Meine Beste und ich sitzen im Café an der Hauptstraße und reden mal wieder über Gott und die Welt. „Jedenfalls,“ erzählt sie weiter, „als ich dich dann sah, war es wirklich ein Schock! Blitzschnell überlegte ich mir: Ich werde mit dir umgehen wie mit einer teuren Porzellanpuppe. Einer sehr sehr schnell zerbrechlichen, sehr teuren Porzellanpuppe!“ – „Als Porzellanpuppe, hm, aber nur wegen meines makellosen Teints!“ Die Theatralik strömt aus jeder meiner Worte. Meine Beste prustet fast ihren Kaffee aus, als wir gleichzeitig anfangen zu lachen. Oh Mann, wie gut, dass ich sie damals angerufen habe…
Als sie gleich zwei Tage nach meinem Anruf bei mir am Esstisch saß, merkte ich ihr sofort ihre Unsicherheit an. Ich überspielte es und überlegte, dass ich andersherum wahrscheinlich nicht so locker versuchen würde, mit der Situation umzugehen. Jedenfalls dauerte es keine fünf Minuten und das Eis war gebrochen.
Wir redeten über unsere unterschiedlichen Erfahrungen in der Zeit seit meinem Umzug und stellten fest, dass wir bis auf meine Krankheit in ähnlichen Situationen „gefangen“ sind. Knapp einen Monat nach meinem Weggang zog auch sie mit ihren Eltern weg. Allerdings verschlug es sie in ein Kaff JWD hinter der Stadt. Das wiederum isolierte sie eine Weile von ihren Freunden und sie hat jetzt, nachdem sie verstanden hat, dass sie sich nie in dem Dorf einleben wird, beschlossen, mal zu schauen, wer von den alten Leuten noch da wäre. Jedoch, wenn die hören, wo sie jetzt wohnt, ist keiner bereit, den Weg auf sich zu nehmen.
Da waren wir nun wieder: zwei auf unterschiedliche Art und Weise Gestrandete.
Da ich in meiner Situation sowieso nirgendwo hin konnte, war es mir ganz gleich, wo sie wohnte. Sie hätte ebenso auch auf dem Mond leben können, es hätte keinen Unterschied für mich gemacht. Und da ich andererseits nicht von ihr erwarten konnte, hunderte Stunden zu mir zu fahren, um dann gleich wieder den Heimweg anzutreten, schlug meine Mutter „Wochenend-Pyjama-Partys“ vor.
Meine Beste kam jeden Freitag und wir verbrachten das ganze Wochenende zusammen. Jedes Wochenende. Fünf Jahre lang. Wir waren wieder unzertrennlich!
Ist das Verat, wenn man ein Messer im Rücken spürt, oder ist es nur Betrug, wenn man den Stich ins Herz bekommt?
Ich starre mit leerem Blick auf mein Handy und registriere den Text nur am Rande. Der nächste Rechtfertigungsversuch per SMS ohne Einsicht, ohne Entschuldigung, dafür ein Vorwurf nach dem nächsten: „Aber BeaBu, wir haben doch auch mal das Recht, ein Wochenende ohne dich zu verbringen! Ich meine, was erwartest du denn? Ein Exklusivrecht auf uns?“ Hmm, gute Frage: Was erwarte ich von einer Dekaden langen Freundschaft und meinen anderen Freunden?
Jedenfalls nicht, dass man mir in den Rücken fällt, mich hinhält und anlügt!
Und das Recht auf ein Wochenende mal ohne mich ist maßlos untertrieben ausgedrückt, wenn man bedenkt, dass ich aus heiterem Himmel acht Wochenenden mit den Worten vertröstet wurde: „Sorry BeaBu, ich bin so durch von der Arbeitswoche, ich mach einen Gemütlichen!“ Von jedem einzelnen meiner mittlerweile vierköpfigen Clique! Um dann im Nachhinein zu erfahren, dass sie acht Wochenenden Party ohne mich gemacht haben und mir dabei erzählten „im Himmel ist Jahrmarkt“!
„Schön, dass sie einen neuen Schlafplatz für’s Wochenende in der Großstadt gefunden hat!“, denke ich mir gehässig beim Anblick der SMS.
„Wieso zum Teufel…?“ bei der nächsten und einfach nur „Warum?“ dann bei der letzten SMS.
Drei Monate lang: Vorwürfe über Vorwürfe, Rechtfertigungen über Rechtfertigungen und zum Schluss: Ich bin ja selber schuld, sie hatten keine andere Wahl.
Ich fühlte mich schlecht! Ich fühlte mich allein und mir ging es hundeelend!
Kurz: Ich war ein Schatten meiner selbst!
Ich zog mich so sehr zurück, dass meine Eltern anfingen, mich bei ihren Freunden mitzunehmen, damit ich nach Monaten überhaupt wieder mal das Haus verlasse.
Kurz darauf traf ich nochmal auf meine Ex-Beste und während sie aussah wie das blühende Leben, sah ich hingegen immer noch aus wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Da begriff ich, dass, bei all der Sch@&€, die ich schon durchgemacht habe – ich, komme was wolle, mich nie wieder und egal wovon so runterziehen lasse, und stakste erhobenen Hauptes davon – Hey, ich hatte fünf zusätzliche gute Jahre mit ihr und jetzt wird es Zeit für Menschen, die mich wieder zu schätzen wissen!
À bientôt
Eure BeaBu